Strahlentherapie beim Hodgkin-Lymphom – ist weniger manchmal mehr?
- Beitrag von DEGRO
- Datum: Juni 2019
Das Hodgkin-Lymphom, eine Form des Lymphdrüsenkrebses, ist eine der häufigsten Krebserkrankungen im jungen Erwachsenenalter. Durch moderne Behandlungskonzepte sind die Heilungsaussichten heute groß und die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei mehr als 90%. Mögliche Spätfolgen der Behandlung – wie Organschäden und Zweitmalignome – erlangen dadurch zunehmende Bedeutung für die Lebensqualität und Langzeitmortalität. Entsprechend wird in klinischen Studien eine mögliche Therapie-Deeskalation erprobt. Der aktuelle Behandlungsstandard des Hodgkin-Lymphoms sowie aktuelle Perspektiven der klinischen und experimentellen Forschung werden auf dem diesjährigen Jahreskongress der DEGRO thematisiert.
Das Hodgkin-Lymphom (auch Morbus Hodgkin) gehört zu den bösartigen Erkrankungen des lymphatischen Systems und befällt in erster Linie die Lymphknoten. Aber auch andere Organe wie die Milz oder die hinter dem Brustbein gelegene Thymusdrüse, die Lunge, das Knochenmark oder die Leber können betroffen sein. Die jährliche Inzidenz beträgt 2-3/100.000 [1], sodass das Hodgkin-Lymphom eine der häufigsten Krebserkrankungen junger Erwachsener ist (mittleres Alter 42-44 Jahre, zwei Erkrankungsgipfel: bei 20-30 Jahren und nach dem 55. Lebensjahr). Die Erkrankung ist heute mehrheitlich heilbar und das 5-Jahresüberleben beträgt über 90%. Das war nicht immer so – die Anfänge der Hodgkin-Therapie reichen in die frühen 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, als man entdeckte, dass eine Heilung allein mit einer Strahlentherapie möglich ist. Diese bemerkenswerte Historie wird Prof. Richard Hoppe, Stanford/ USA, in einer „Keynote Lecture“ illustrieren. Prof. Hoppe gilt als ein Pionier und Vorreiter der Hodgkin-Behandlung und ist weltweit ein gern gesehener Gast auf radioonkologischen Kongressen.
Aktuell werden Hodgkin-Lymphome meist kombiniert mittels Strahlen- und Chemotherapie, entsprechend der S3-Leitlinie [2], behandelt. Das gute Überleben nach einer modernen Hodgkin-Therapie wirft die Frage auf, inwieweit die Therapieintensität und damit langfristige Folgen (wie Herz- und Lungenschäden oder Sekundärtumoren) zu verringern sind, bei gleichzeitigem Erhalt der exzellenten Behandlungsergebnisse.
„Um die therapieassoziierte Morbidität und Mortalität zu senken, wird seit mehr als 30 Jahren in großen Studien an der Optimierung bzw. Minimierung der Therapie geforscht – ohne dass dabei Effektivitätseinbußen riskiert werden düfen“, erläutert Prof. Dr. Hans Eich, Tagungspräsident des DEGRO-Kongresses 2019 und Direktor der Klinik für Strahlentherapie-Radioonkologie der Universitätsklinik Münster. Er ist zudem stellvertretender Leiter der Referenzstrahlentherapie der Deutschen Hodgkin Lymphom Studiengruppe (GHSG) und Mitglied des Steering Committee der International Lymphoma Radiation Oncology Group (ILROG), Vorstandsmitglied des Kompetenznetzes Maligne Lymphome e.V. (KML) sowie Mitglied des Leitungsgremiums der German Lymphoma Alliance (GLA).
Weitere Keynote-Speaker sind dieses Jahr Prof. Dr. Dr. h.c. Andreas Engert, Köln und Prof. Dr. Umberto Ricardi, Turin/Italien. Prof. Engert, Chairman und Leiter der GHSG, wird „Aktuelle Ergebnisse und Perspektiven der Deutschen Hodgkin-Lymphom Studiengruppe“ vortragen [3]. Die GHSG (mit ihrer Zentrale in Köln) vernetzt über 400 Tumorzentren aus fünf europäischen Ländern. „Die GHSG konnte bereits über 20.000 Patienten in Studien einschließen – eine respektable Zahl wie sie in diesem Umfang weltweit nur selten anzutreffen ist“ betont Prof. Eich.
Die 16. Studie der GHSG (HD16) [4] ist eine randomisierte, multizentrische Phase-III-Studie und untersucht eine mögliche Individualisierung der risikoadaptierten Chemo- und Strahlentherapie für Patienten mit frühen Stadien des Hodgkin Lymphoms in der Primärtherapie. Patienten im Alter von
18-75 Jahren mit der Erstdiagnose eines Hodgkin-Lymphoms wurden randomisiert in eine Standard- und eine experimentelle Gruppe eingeteilt. Alle erhielten gleichermaßen zwei ABVD-Chemotherapie-Zyklen (Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin und Dacarbazin). Danach erfolgte eine Untersuchung mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) zur Kontrolle des Therapieansprechens auf ABVD. Die Patienten des Standardarms erhielten ungeachtet dessen alle eine Bestrahlung als involved-field Bestrahlung mit 20 Gy. Im experimentellen Arm wurden nur die Patienten mit 20 Gy bestrahlt, die PET-positiv waren, d. h. die noch stoffwechselaktive (metabolische) Tumorreste in der Bildgebung aufwiesen. PET-negative Patienten wurden nicht bestrahlt. Studienziel war es zu evaluieren, ob die PET-stratifizierte Therapie gegenüber der kombinierten Chemo-Strahlentherapie hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens nicht unterlegen ist. Nach der Präsentation erster Ergebnisse auf dem internationalen Hodgkinkongress im letzten Jahr wird die Publikation dieser innovativen Studie in Kürze erwartet. „Konzepte zur Minimierung der Toxizität ohne Verschlechterung der Therapieeffektivität können künftig entscheidend zu den Langzeitergebnissen der Hodgkin-
Behandlung beitragen“, so Prof. Eich. „Dennoch wird bei einem nicht unerheblichen Teil der Patienten die Bestrahlung für eine Heilung weiterhin erforderlich sein. Wir hoffen, künftig diese Patienten bereits im Vorfeld PET-diagnostisch zu identifizieren.“
Die Therapieintensität muss sorgsam abgewogen werden, um nicht durch Langzeittoxizitäten die gute Langzeitprognose zu belasten. Es gibt jedoch auch besonders aggressive Tumorarten. Prof. Ricardi, Turin/Italien, Präsident der Europäischen Gesellschaft für Strahlentherapie und Onkologie (ESTRO – European Society for Radiotherapy and Oncology) wird im Rahmen einer weiteren „Keynote Lecture“ einen Vortrag zur „Rolle der Strahlentherapie bei aggressiven Lymphomen“ halten [5]. Außerdem wird ihm auf dem Jahreskongress die DEGRO-Ehrenmitgliedschaft verliehen.
Neben besonders aggressiven Lymphomarten stellen therapieresistente Verläufe sowie Rückfälle (Rezidive) des Hodgkin-Lymphoms eine große Herausforderung für die Behandlung dar, da das optimale Vorgehen in diesen Situationen nicht abschließend geklärt ist. Eine weitere Studie, die auf dem DEGRO-Kongress vorgestellt wird [6], untersuchte bei 17 Patienten eines Zentrums die Rezidivmuster des Hodgkin-Lymphoms und analysierte dabei die klinische Bedeutung der
Radiotherapie. Zum Rezidiv kam es im Median nach zwei Jahren. Frühe Hodgkin-Stadien hatten ein mittleres rezidivfreies Überleben von 7,8 Jahren, intermediäre und fortgeschrittene Stadien hingegen nur von 1,6 und 2,2 Jahren. Bei Patienten, die eine Strahlentherapie erhalten hatten, traten die
Rezidive später auf als ohne Bestrahlung (Median 2,8 gegenüber 1,3 Jahren). Etwa die Hälfte der Rezidivpatienten wurde bestrahlt und auch bei einem zweiten Rezidiv erhielten viele Patienten eine erneute Strahlentherapie. „Die Strahlentherapie als Lokaltherapie hat somit auch bei der Rezidivbehandlung des Hodgkin-Lymphoms eine wichtige Rolle“, kommentiert Prof. Eich.
Weitere wissenschaftliche Beiträge zum Hodgkin-Lymphom auf dem Jahreskongress der DEGRO befassen sich mit dem „Pro und Kontra“ einer intensitätsmodulierten Radiotherapie (IMRT), mit dem Stellenwert der Radiotherapie bei Kindern sowie der Protonenbestrahlung von Befällen im
Mittelfellraum (Mediastinum). Im Fall der Protonentherapie stellt das „Pencil Beam Scanning (PBS)“ eine neue Technik dar [7], um auch Patienten mit besonders hohem Risiko für Strahlenschäden effektiv und sicher zu behandeln.
„Zusammenfassend liegen die Studienschwerpunkte beim Morbus Hodgkin heute auf der Therapie-Deeskalation für frühe Erkrankungsstadien“, so Frau Prof. Dr. Stephanie E. Combs, Pressesprecherin der DEGRO. „Zudem müssen die Therapieempfehlungen für intermediäre und fortgeschrittene Stadien sowie bei Rezidiven konkretisiert und optimiert werden.“ Sie ergänzt abschließend: „In allen Fällen bleibt natürlich eine gute Nachsorge essenziell für die Patienten, damit Rezidive und späte Therapietoxizitäten rechtzeitig erkannt und behandelt werden.“
Literatur
[1] Rancea M, Engert A, von Tresckow B et al. Hodgkin’s lymphoma in adults: diagnosis, treatment and follow-up. Dtsch
Arztebl Int 2013; 110 (11): 177-83, 183e1-3
[2] https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/hodgkin-lymphom/
[3] Engert A. Aktuelle Ergebnisse und Perspektiven der Deutschen Hodgkin-Lymphom Studiengruppe (GHSG). HL03-2 –
DEGRO-Kongress Münster 2019
[4] Baues C. Stellenwert der konsolidierenden Involved Field Radiotherapie in frühen Stadien des Hodgkin Lymhoms
Endauswertung der HD 16 Studie. SY21-2 – DEGRO-Kongress Münster 2019
[5] Ricardi U. The role of radiotherapy in aggressive lymphoma. HL03-1 – DEGRO-Kongress Münster 2019
[6] Oertel M, Kriz J, Kerkhoff A et al. Rezidivmuster des Hodgkin-Lymphoms – eine klinische Analyse zur Bedeutung der
Radiotherapie. P13-4-jD – DEGRO-Kongress Münster 2019
Außerdem in: Constine LS, Yahalom J, Ng AK et al. The Role of Radiation Therapy in Patients With Relapsed or Refractory
Hodgkin Lymphoma: Guidelines From the International Lymphoma Radiation Oncology Group. Int J Radiat Oncol Biol Phys
2018; 100 (5): 1100-18
[7] Dědečková K, Kubeš J, Zapletalová S et al. Protonenbestrahlung mit der Technologie Pencil Beam Scanning für Patienten
mit mediastinalem Hodgkin Lymphom: Akute Toxizität und kurzfristige therapeutische Ergebnisse. VS06-1 – DEGRO-
Kongress Münster 2019
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